Wednesday, October 21, 2009

USA: Richter stoppt reihenweise Zwangsräumungen in "Don Quijote"-Manier...

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USA: Richter stoppt Zwangsräumungen

Brooklyns Bankenschreck

21.10.2009, 11:14

Von Moritz Koch, New York

Er will ein Zeichen setzen gegen die Gier der Banker: In New York stoppt ein Richter reihenweise Zwangsräumungen von Häusern – und garniert seine Urteile mit Hohn für die Finanzelite.

Der Richter hat sie aufgehängt, an die Wand links neben der Tür. John Mack von Morgan Stanley, Lloyd Blankfein von Goldman Sachs, James Dimon von JP Morgan Chase und Kenneth Lewis von der Bank of America. Wie Ganoven auf einem Steckbrief sehen die Bankchefs aus. Nur steht unter ihren Portraits nicht das Kopfgeld, das auf sie ausgesetzt wurde, sondern das Millionengehalt, das sie eingestrichen haben.

Arthur Schack hat die Collage aus einer Boulevardzeitung ausgeschnitten. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er den Volkszorn über das Gebaren der Finanzelite teilt. Der Richter will ein Zeichen setzen gegen die Gier und gegen die Wall Street. Nur, dass er sich in seinen Urteilen von Ressentiments leiten ließe, weist er entschieden zurück. “Ich diene dem Recht”, sagt er. “Das ist mein Job.” Und das reicht schon, um den Banken eins auszuwischen.

Schack hat sich in Amerika einen Namen gemacht, weil er am obersten New Yorker Landesgericht in Brooklyn reihenweise Zwangsräumungen abweist. Einen Don Quijote nennen sie ihn, der zum Sturm auf die Konzernzentralen von Manhattan bläst. Wer die Amtsstube des Richters betritt, sieht einen kleinen, grauen Mann mit dünnem Schnurrbart und schütterem Haar in einem großen, braunen Sessel. Vor ihm auf der Fensterbank lagern seine Immobilien-Fälle. Der 64-Jährige lehnt sich vor, greift nach dem Stapel Papier, wiegt ihn mit beiden Händen. “20 vielleicht”, sagt er. “Ich weiß nicht genau. Mal sehen, ob ich das noch schaffe, bevor ich in Urlaub fahre.” Wenn nicht, müssen die Banken sich gedulden.

Im Dienste der Gerechtigkeit

20 Zwangsräumungen. 20 Familienschicksale. Ein kleiner Ausschnitt der Jahrhundertkrise. Millionen von Amerikanern verlieren allein in diesem Jahr ihr Zuhause. Sie können sich die Kredite, die sie aufgenommen haben, nicht mehr leisten, und die Banken holen sich die Vorstadthäuser und Stadtwohnungen zurück, die mit ihrem Geld gekauft wurden. In der Regel haben sie dabei leichtes Spiel. In den meisten Bundesstaaten braucht es keinen Richterbeschluss, um säumige Gläubiger vor die Tür zu setzen. Aber New York ist anders. Und Richter Schack ist es auch.

In New York muss jede Zwangsräumung vom Landesgericht genehmigt werden, selbst dann, wenn sich der Hausbesitzer nicht dagegen wehrt. Schack gibt das Gelegenheit, den mächtigen Finanzkonzernen ein paar Steine in den Weg zu legen – im Dienste der Gerechtigkeit, versteht sich. “Drei Dinge braucht die Bank, dann bekommt sie, was sie will”, sagt Schack. “Erstens: ein Dokument, das die Existenz der Hypothek bestätigt. Zweitens: einen Beweis, dass der Schuldner seine Raten nicht mehr zahlt. Drittens: den Beleg, dass die Bank rechtmäßiger Besitzer der Hypothek ist. Das ist alles, was ich will. Wenn mir eine Bank das zeigen kann, bekommt sie ihre Zwangsräumung.” Nur können das die Banken in vielen Fällen nicht lückenlos nachweisen.

Die Zeiten, in denen sie Kredite einfach in den eigenen Büchern hielten und deren Belege sorgsam archivierten, sind längst vorbei. Heute sind Kredite Spekulationsrohstoffe. Sie werden verkauft, an der Wall Street gebündelt, tranchiert, zu Wertpapieren verarbeitet und in alle Welt verscherbelt. So kommt es, dass arabische Investoren Verluste verbuchen, wenn eine Familie aus Ohio in Zahlungsrückstand gerät. Die Anleger müssen dann eine Zwangsräumung durchsetzen und auf einen Weiterverkauf hoffen. Dabei kommen die Banken zurück ins Spiel.

Um die Interessen der Investoren wahrzunehmen, bieten die Wall-Street-Konzerne ihre Dienste als Treuhänder an. Zwangsräumungen zu beantragen, mag eine Drecksarbeit sein, aber es verspricht sichere Einnahmen, solange die Arbeitslosenzahlen in den USA steigen und ständig weitere Familien in Not geraten. Auch die Deutsche Bank ist dabei groß im Geschäft.

“Auch ich bin ein Söldner”

Nur tun sich die Bankjuristen häufig schwer, nach der langen Reise der Kredite durch die Finanzwelt die Papiere aufzutreiben, die Existenz und Rechtmäßigkeit der Hypothek bestätigen. Manchmal steht der Räumungsklage auch purer Dilettantismus im Weg. So scheitern die Konzerne teilweise an einfachsten Aufgaben wie der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung. Schack erzählt von einem Deutsche Bank-Manager, der sich hin und wieder auch als Angestellter des Finanzkonzerns Wells Fargo ausgab. Er behauptete in Kansas City zu arbeiten, ließ seine Unterschrift aber in Texas beglaubigen. “Ich möchte wissen: Wer ist dieser Kerl?”, sagt Schack. “Gibt es ihn überhaupt?” Schack stoppte die Zwangsräumung. Wie so viele andere. Fast jeden zweiten Antrag schmettert er ab.

Den Richter empört die Lässigkeit, mit der Banken mit dem Schicksal der Gläubiger umgehen. Maßlose, kaltherzige Überheblichkeit sieht Schack darin. “Es geht hier um ehrliche Leute, die alles verlieren. Das sollten wir niemals vergessen”, sagt er. Schacks Mitgefühl hat auch persönliche Gründe. Er stammt selbst aus bescheidenen Verhältnissen, ist in Brooklyn geboren und aufgewachsen. Nach seinem Studium arbeitete Schack als Lehrer. Jurist wurde er erst, als die Stadt sein Gehalt zusammenstrich. “Ok, ich gebe zu, auch ich bin ein Söldner”, sagt er und lacht.

Schack gefällt seine Ironie. Besonderes Vergnügen bereitet es ihm, seine Urteile mit Hohn und Spott zu garnieren. Mal zitiert er William Shakespeare. In einem Verfahren, in dem Wells Fargo Dutzende Ausflüchte für ihre schlampige Aktenführung machte, ließ er die Bank wissen: “Das Gericht erinnert Wells Fargo an den Rat von Cassius an Brutus in Akt 1, Szene 2 von William Shakespeares Julius Caesar: “Die Schuld, lieber Brutus, liegt nicht in den Sternen, sondern in uns selbst.”

“Ein kleiner Mann aus Brooklyn”

In anderen Fällen dienen Filmklassiker als Inspiration. “It’s a Wonderful Life” zum Beispiel, ein Schwarz-Weiß-Streifen, in dem Lionel Barrymore den böswilligen Banker Mister Potter spielt. Die Deutsche Bank und Goldman Sachs hatten einen Kredit hin- und hergeschoben und dabei wichtige Dokumente verloren. Schack schrieb: Gläubiger sollten niemals außer Acht lassen, dass sie es mit Menschen zu tun haben, nicht mit dem, was Mister Potter “Gesindel” und “Viehzeug” nennt. “Multimilliarden Dollar schwere Unternehmen müssen bei Zwangsräumungen dieselben Regeln befolgen wie Sparkassen und lokale Kreditinstitute, anderenfalls sind sie die Mister Potters des 21. Jahrhunderts.”

Natürlich sind solche Urteile für die Banken eine Provokation, schlimmer noch: Sie sind eine Gefahr. Zwar bekommt Richter Schack nicht genügend Fälle, um den Finanzkonzernen echten Schaden zuzufügen. Aber sein Beispiel könnte Schule machen. Schacks Urteile waren bereits Thema auf Juristentagungen. Darum schlagen die Banken im Bunde mit teuren Anwaltskanzleien zurück.

Erst kürzlich legte der Finanzkonzern HSBC Berufung gegen eine von Schacks Entscheidungen ein. Die Anwälte des Unternehmens warnten, Schack schaffe einen gefährlichen Präzedenzfall, indem er auf selbstherrliche Weise zugleich als Richter und Geschworenenjury auftrete. Beeindruckt Sie das, Herr Schack? “Überhaupt nicht. Ich weigere mich ganz einfach, die Fehlerorgien der Banken zu akzeptieren. Macht mich das dann zu einem konzernfeindlichen Kreuzzügler? Keine Ahnung. Ich bin nur ein kleiner Mann aus Brooklyn.”

(SZ vom 21.10.2009/tob)

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